Sensibel Konflikte lösen

Januar, 2019 von Ilona Kofler in Fachartikel und Interviews

Sensibel Konflikte lösen

Was hat Sensibilität mit Konflikten zu tun? Auf den ersten Blick vielleicht nicht viel, auf den Zweiten wird klar: viel mehr als wir denken!

Kennen Sie Donald Trump? Er ist wahrscheinlich im Moment für viele Menschen der Inbegriff von Unsensibilität, von Unachtsamkeit und von Unfrieden. Er ist das perfekte Beispiel dafür, wie man Menschen verletzt, ihre Würde herabsetzt und Werte wie Toleranz und Respekt in den Dreck zieht.

Aber wissen sie was? Wir können unheimlich viel von ihm lernen! Er hält uns vor Augen, wie wir nicht behandelt werden möchten.

Jeder von uns hat jeden Tag die Chance, Konflikte sanft und friedlich zu lösen.

Das ist gar nicht so einfach, werden Sie vielleicht denken. Und ich gebe Ihnen Recht: es ist eine bewusste Entscheidung. Es ist nicht wie atmen oder laufen – das passiert milliardenfach überall auf der Welt, weil wir einen wundervoll funktionierenden Körper haben – er tut das für uns, ohne dass wir einen Gedanken daran verschwenden müssen.

Bewusste Entscheidungen erfordern aber, dass wir uns mit uns selbst auseinandersetzen, sie legen oftmals Unangenehmes frei – Dinge, die wir lieber nicht sehen möchten.

Wir müssten uns konkret Gedanken darüber machen, wie wir Menschen gegenübertreten, die uns verbal oder sogar körperlich angreifen.

Unser erster Reflex ist zurückschlagen, sich wehren, sich schützen wollen. Der früheste unserer Reflexe, der sog. Moorreflex sorgt für einen sofortigen Erregungsmechanismus, indem er durch das freisetzen der Streßhormone Adrenalin und Cortisol das sympathische Nervensystem und damit die Kampf -oder Fluchtbereitschaft aktiviert.

Er stellt damit den frühsten Bewegungsausdruck von Angst ebenso wie die erste Reaktion des Neugeborenen auf eine Gefahr dar.

Ist es also Angst, die uns leitet, die uns wütend und aggressiv macht? Laut Psychologie liegen all unseren Gefühlen Angst und Liebe zugrunde.

Klar ist, das das Gefühl der Angst uns hilflos macht, wir mögen es nicht, Angst zu haben und noch weniger mögen wir es, uns das einzugestehen. Und das Gefühl der Hilflosigkeit ist auch nicht gerade das, was für fühlen möchten.

Und wie ist es mit der Liebe?

Haben Sie Lust auf ein kleines Experiment?

Haben Sie sich schon einmal vor einen Spiegel gestellt und zu sich selbst gesagt, wie toll sie aussehen und wie sehr Sie sich lieben?

Nein? Dann schlage ich Ihnen vor, genau das jetzt zu tun. (Oh, Sie sitzen gerade in der U-Bahn…aber bestimmt haben sie später Gelegenheit dazu?)

Den meisten Personen, die zu dieser simplen Übung aufgerufen werden, bereitet es unheimlich große Überwindung, sich selbst einzugestehen, dass sie liebenswert und wundervoll sind. Wir tun uns schwer damit, uns anzunehmen und uns gut zu finden, so wie wir sind.

Und was hat Selbstachtung und Selbstmitgefühl mit Frieden und Konfliktlösung zu tun?

Wieder eine ganz Menge, denn: im Außen so wie im Innen. Wer sich selbst achtet, achtet auch jene, die ihm begegnen. Wer sich selbst fühlt, fühlt auch (mit) den anderen.

Von Geburt an sind wir sensible Wesen, frei und offen für jede liebevolle Erfahrung, wir sind im Einklang mit uns und der Welt, die uns umgibt.

Dann werden wir erzogen, werden angeleitet, uns zu verleugnen, dürfen nicht allzu freudig sein, nicht allzu begeistert, wir sollen nicht weinen und haben viele Eigenschaften, die nicht erwünscht sind.Wir sollen keine Mimöschen sein und uns ein dickes Fell zulegen. Wir werden hart gemacht für die Welt, die uns umgibt – damit wir in der harten Welt zurechtkommen.

Die inneren Konflikte und die dazugehörenden Gefühle werden Schicht für Schicht aus dem Bewusstsein verbannt und tief vergraben. Wir merken gar nicht, dass diese Konflikte und Gefühle tief in uns schlummern und bei bestimmten Gelegenheiten hervorbrechen: besonders gern bei Konflikten, in Situationen, in denen wir uns hilflos und ausgeliefert fühlen. Wir tragen diese verdrängten Gefühle in unsere Familien, in unsere Arbeit, in unsere Gesellschaft.

Mache von uns verlieren sich völlig aus den Augen, gehen jahrelang über ihre Grenzen und werden nicht selten ernsthaft krank.

Sensible und hochsensible Menschen gelten als idealistische Träumer und zu dünnhäutig. Dabei sind genau sie diejenigen, die uns vorleben, wie Empathie, Mitgefühl und Sanftheit unsere Gesellschaft besser machen können. Sie haben meist eine ausgeprägte Intuition und somit einen guten Zugang zu ihren Gefühlen. Sie fühlen sich verbunden und dieses Gefühl hilft ihnen, sich in den anderen hineinzuversetzen. Sensible und hochsensible Menschen machen sich ihre Feinfühligkeit zunutze, indem sie achtsamer und sanfter agieren und interagieren.

Sie merken schon, worauf ich hinauswill: Wir müssen wieder mehr fühlen!

Wie geht das nun konkret: Konflikte sensibel lösen?

Dazu einige Anregungen:

Beobachten und innehalten

Es gibt diese bekannte Methode, die uns rät, in einer (über)fordernden Situation bis zehn zu zählen. Zählen und bewusst Atmen. Diese Handvoll Sekunden ermöglicht es, in einen Haufen Wut und Ärger Luft zu bringen. Dieser Moment Achtsamkeit hilft manchmal schon, um im Jetzt zu bleiben und nicht der Aggression das Feld zu überlassen.

Die eigenen Grenzen kennen und wahren, Nein sagen

Das ist zugegebenermaßen nicht leicht! Manchmal ist erst hinterher möglich zu erkennen, was da geschehen ist. Wir lassen unsere Grenzen überschreiten und merken nicht, inwieweit das Gegenüber in unsere individuelle Wohlfühlzone eingedrungen ist.

Stellen Sie sich vor, Sie haben Besuch von Bekannten. Nach dem Abend liegen Sie wach und Ihnen wird bewusst, dass Ihnen ein Satz der Person sehr nahe gegangen und verletzend für Sie ist. Sie ärgern sich und werden wütend darüber, auch deshalb, weil es Ihnen in der Situation nicht gelungen ist, sich dessen bewusst zu sein.

Wenn Sie gleich hätten sagen können: „Moment bitte, das geht mir jetzt sehr nahe“, hätte das Gegenüber die Möglichkeit gehabt zeitnah zu reagieren.

Wer seine eigenen Grenzen besser kennt, hat die Möglichkeit, einen Konflikt bevor er entsteht zu entschärfen und eventuell sogar aufzulösen. Bei „verschleppten“ Aggressionen ist das deutlich schwieriger.

Die Wortwahl in Konfliktsituationen

Welche Worte/Sätze können mir dabei helfen, das Gegenüber ernst zu nehmen und trotzdem meine Grenzen zu wahren? Stellen sie sich eine konkrete Situation vor und welche Worte sie in den Mund genommen haben. Schreiben Sie sie auf und formulieren Sie nun das Gesagte um. Bleiben sie authentisch und seien Sie ehrlich mit sich selbst.

Ein Beispiel: Sie sind mit einer beruflichen Entscheidung ihres Partners unzufrieden, Sie sagen:

„Das kannst du doch nicht machen! Du bist verantwortungslos und ein Egoist!“

Sie könnten allerdings auch Folgendes äußern:

„Ich fühle mich mit deiner Entscheidung überfordert und denke an die möglichen negativen Konsequenzen.“

Sie werden mir zustimmen, dass nach dieser Äußerung sehr wahrscheinlich ein friedlicheres und zielführenderes Gespräch möglich sein wird.

Marshall Rosenberg, der Autor des Werkes „Gewaltfreie Kommunikation“ schreibt: „Unser Repertoire an Schimpfwörtern ist oft umfangreicher als der Wortschatz, mit dem wir unseren Gefühlszustand klar beschreiben können.“

Sich in den anderen Hineinfühlen – was sind seine Bedürfnisse?

Versuchen Sie, sich in den anderen hineinzuversetzen, sehen Sie den Menschen hinter der Wut und den Anfeindungen. Was könnten seine Beweggründe sein, was seine Motive? Wertschätzung und Empathie ermöglicht es ihnen, Gemeinsamkeiten zu erkennen und das kann wirklich Wunder wirken.

Können wir mutig genug sein, uns unserer Gefühle bewusst zu werden? Können wir uns mit Schmerz und unangenehmen Gefühlen auseinandersetzen, die wir unter einer Schicht aus Angst, Wut, Aggression und nicht zuletzt Selbsthass vergraben haben?

Uns selbst zu fühlen ist der erste Schritt zur Konfliktlösung, zum Frieden. Denn: Im Innen so wie im Außen.

Wir alle sind im Grunde mitfühlende und sensible Wesen – ja, auch Donald Trump ist so zur Welt gekommen.

Empathie ist der der erste Schritt zum Frieden. Und diese Empathie beginnt in uns.