Wie du deine Hochsensibilität lieben lernst, Teil 1: So akzeptierst du deine Wahrnehmungsbegabung

April, 2019 von Ilona Kofler in Gut leben mit Hochsensibilität

Nun weißt du also, dass du zu den 15-20 % der Hochsensiblen auf der Welt gehörst – was nun?

Was willst du mit dieser Erkenntnis tun? Es gibt zwei Möglichkeiten:

Du kannst so tun, als ob dich das nicht interessiert und so weitermachen wie bisher. Das ist völlig legitim – es ist dein Leben und natürlich auch deine Entscheidung! In meiner täglichen Arbeit begegne ich immer mal wieder hochsensiblen Menschen, die mich fragen: Wie geht „DAS“ wieder weg? Was kann ich tun, damit ich nicht so viel mitbekomme, spüre, fühle, wahrnehme…?

 

Meine Antwort darauf lautet stets:

Hochsensibilität geht nicht einfach wieder weg, sie gehört zu dir: Wie dein Gesicht, wie deine Haarfarbe, wie die anderen Begabungen, die du hast: Deine Begabung für Zahlen, dein Talent, Sprachen zu lernen, deine Eigenart, rechts- oder linkshändisch zu agieren u.v.m.

 

Deine Hochsensibilität kann sich zwar verändern –  im Laufe deines Lebens bist du ja auch körperlichen Vorgängen unterworfen. Manchmal stellen meine Kient*innen fest, dass sich plötzlich der Geruchssinn verändert oder ihre Haut weniger sensitiv auf äußere Einflüsse reagiert. Trotzdem bleibt deine feinfühlige Wahrnehmung deine besondere Begabung.

 

Du kannst deine Hochsensibilität verstecken und sie verleugnen. Nach meiner Erfahrung funktioniert das eine Weile, manchmal über Jahre – bis dein Körper dir unmissverständlich zeigt: So, jetzt ist Schicht im Schacht.

 

Viele meiner Klienten und Kursteilnehmer mussten sich spätestens nach einem Infarkt, Schlaganfall, schwerer Depression oder Erschöpfungssyndrom bzw. Burnout mit sich und ihrer Hochsensibilität beschäftigen und sie (an)erkennen.

 

An dieser Stelle ein wichtiger Hinweis: Hochsensibilität ist keine Krankheit und auch keine psychische oder neurologische Störung!

 

Die Herausforderungen unserer heutigen Welt mit erhöhtem Leistungsdruck sind allerdings für Hochsensible nicht so lange zu ertragen. Ihre Belastungsschwelle ist niedriger – deshalb leiden auch sie an oben genannten Symptomen.

 

Solltest du zu jenen Hochsensiblen gehören, die lernen möchten, ihre feinfühligen Talente zu lieben und zu leben, dann findest du hier in meinen Blogposts viele hilfreiche Tipps und lernst Übungen kennen, die dich dabei unterstützen:

 

  • deine wundervolle Begabung ab sofort im positiven Licht zu sehen
  • deine hochsensiblen Stärken und Ressourcen kennenzulernen und
  • sie in dein tägliches Leben zu integrieren.

Der erste und wichtigste Schritt:

Erkenne deine Hochsensibilität an und akzeptiere sie als das, was sie ist: Eine Wahrnehmungsbegabung. Ja, ja, wirst du jetzt vielleicht denken, wenn das so einfach wäre, hätte ich es längst getan. Wirklich? Hättest du? Oder gibt es Sätze, Urteile und Bewertungen, die dich daran gehindert haben und Widerstand geleistet haben?

 

Jeder von uns hat solcherlei Glaubenssätze. Es gibt „gute“ hilfreiche Glaubenssätze und es gibt hinderliche, entwertende Glaubenssätze. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Hochsensible meiner Generation als Kinder mehr oder weniger alle dieselben destruktiven Sätze zu hören bekommen haben:

„Nun hab‘ dich nicht so…“, „Was du immer hast…“, „Sei nicht so empfindlich…“, „Immer bist du so sensibel…“, usw. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen.

 

 

Die gute Nachricht ist:

Ab sofort kannst du damit aufhören, dich deswegen schlecht zu fühlen. Weil: Es ist Vergangenheit. Diese Stimmen in dir sind nicht mehr real, sie wiederholen nur, wie ein kaputtes Tonband, immer wieder dieselben Sätze.

(An dieser Stelle ein Hinweis: Solltest du in deinem Leben immer noch jemanden haben, der dir suggeriert und dir weismachen will, dass du zu empfindsam, zu feinfühlig und zu sensibel bist: Frage dich ernsthaft, ob du dir das weiterhin anhören willst.)

 

 

Die etwas weniger gute Nachricht ist:

Diese Urteile, Sätze, Wertungen werden nicht so einfach von einem auf den anderen Tag verschwinden. Sie wollen das, was sie dich glauben machen, natürlich nicht so einfach aufgeben. Stelle dir diese Sätze als kleine gefräßige Teufelchen vor, die davon leben, dass du sie fütterst, also aufrecht erhältst. Sie werden Widerstand leisten.

Deshalb gehören Geduld, Mut und Übung dazu, die kleinen Teufelchen in ihre Schranken zu weisen. Am besten, du bittest sie höflich, sich ein anderes Universum auszusuchen…

…damit es dir nicht so wie mir ergeht: Ich wollte sie verhungern lassen, aber sie haben mir viel zu lange viel zu leid getan!

 

Und nun zu den konkreten Tipps, wie du diesen „Teufelstalk“ unterbrechen kannst:

  • Frage dich: Wer hat was wann und in welchen Situationen zu mir gesagt? Wie lange ist das her? Mache dir am besten eine Liste, in der du handschriftlich (warum das wichtig ist, erkläre ich dir am Ende des Beitrags) festhältst, was da los war.
  • Mache dir bewusst, dass es vorbei ist. Dass es jetzt und hier nicht mehr gilt! Alles, was dir vor Jahren oder Jahrzehnten gesagt und eingetrichtert und anerzogen wurde, ist nicht mehr real. Du kannst dies auch visuell, bzw. kreativ verinnerlichen, indem du mit rotem Stift an- oder durchstreichst, was jetzt nicht mehr gilt. Oder du reißt die Liste in tausend Stücke und verbrennst sie, vergräbst sie oder schickst sie sonstwie zum Teufel!
  • Formuliere neue Sätze für dich. Ein Beispiel: „Ich erlaube mir jetzt, feinfühlig, sensibel und empfindsam zu sein.“ Suche dir dann aus den neuen Sätzen einen aus, der sich besonders stimmig für dich anhört und schreibe ihn separat auf ein hübsches Blatt, eine Karte…und lege ihn dorthin, wo du ihn mehrmals täglich siehst und lesen musst. Du kannst ihn auch in die Brieftasche legen, wo du ihn immer bei dir hast. (Einen weiterführender Link zu „Affirmationen selbst formulieren“ findest du am Ende des Beitrags).

 

Wie gesagt, es ist ein Prozess, den du da in Gang setzt und er erfordert etwas Geduld. Manchmal kann es hilfreich sein, dir Unterstützung zu holen, um tiefliegende Glaubenssätze hochzuholen, dann zögere nicht und vereinbare einen Coachingtermin bei mir. Dann gucken wir uns gemeinsam deine „Teufelchen“ an und suchen ihnen einen schönen Platz zum Urlaub machen.

 

Nun kann es ja aber auch durchaus sein, dass du auf einem guten Weg bist und deine Hochsensibilität (an)erkennst und sie teilweise sogar magst – das ist wunderbar und ich gratuliere dir dazu!

 

Ich gebe zu, es ist leicht, die vordergründig tollen Eigenschaften der Hochsensibilität anzuerkennen: Empathie und Mitgefühl, Verständnis und Geduld, das Wahrnehmen von Details und Kleinigkeiten, das umfassende Denken und tiefgehende Verarbeiten von Erlebtem. Und nicht zu vergessen deine feinfühligen Sinne und deine ausgeprägte Intuition. All das zeichnet viele feinfühlige Personen aus.

 

Nichtsdestotrotz können Herausforderungen auftauchen und dich glauben lassen, dass hochsensibel zu sein eben gar nicht so toll ist.

Aber weißt du was? Nicht du und deine feinfühlige Begabungen sind das Problem, sondern die Welt, in der wir uns bewegen.

Vielleicht rollst du jetzt mit den Augen und denkst so was wie: Wieder so eine, die die heutige Gesellschaft und die Welt verteufeln (da haben wir ihn wieder den kleinen Teufel ;-))!

 

 

Nein, ich widerspreche an dieser Stelle: Ich verurteile und verteufle nicht – ich stelle lediglich fest, dass hochsensible Menschen viel eher und früher bemerken, wenn Arbeitsbedingungen und unser Miteinander belastend sind. Sie nehmen viel eher wahr, dass manche Dinge nicht optimal, sondern krankmachend laufen.

 

 

Ein Beispiel:

Stelle dir vor, du arbeitest in einem Großraumbüro (so wie es eben mittlerweile Standard ist). Jeder telefoniert, jeder redet, jeder räuspert sich oder hustet, jeder macht Lärm an seinem Arbeitsplatz. An Sommertagen riechen eventuell manche Mitmenschen etwas streng.

 

Dann kann noch dazu kommen, dass die Luft schlecht ist, dass ein Ventilator für Wind und auch wieder für Lärm sorgt oder ein Fenster geöffnet ist und  Zugluft das konzentrierte Arbeiten schwierig macht.

 

In den Pausen wird geraucht, der Zigarettendunst hängt danach in den Kleidern. Unstimmigkeiten und Konflikte gibt es natürlich auch im Arbeitsumfeld. Ein hochsensibler Mensch kann auch das spüren.

 

All diese Eindrücke, all diese Wahrnehmungen und all diese Erfahrungen… jeden Tag… fünf Tage in der Woche… zwanzig Tage im Monat… ungefähr 200 Tage im Jahr!

 

Wenn du hochsensibel bist, wirst du eben beim Lesen sehr gut mitempfunden und mitgefühlt haben.

 

 

Worauf will ich hinaus?

Wenn ich behaupte, dass diese Art zu Arbeiten nicht gesund ist und auf längere Sicht zu Stress-und Überforderungssymptomen führt, erzähle ich ja nichts Neues.

Hochsensible mit ihrem Thalamus, der als Filter im Gehirn fungiert und viel mehr Eindrücke und Reize durchlässt, als bei anderen, merken als Erste, wann es zu viel wird.

Auch die Inselrinde, manchmal auch als Inselkortex bezeichnet, ein kleines Areal im Gehirn, ist mit ihrer Eigenschaft als „Sitz des Bewusstseins“ mitverantwortlich für die erhöhte Aktivität und Reizaufnahme.

 

 

Lange Rede, kurzer Sinn:

Dass hochsensible Personen in unserer momentanen Höher-Schnell-Weiter- Gesellschaft als Erste merken, was ihnen zu viel ist, zeigt lediglich, dass sie wunderbar als Barometer und Gradmesser fungieren (übrigens ein Potenzial, das (noch) viel zu wenig Unternehmen als Solches erkennen).

 

 

Das mag für dich als Hochsensibler dazu führen, dass du denkst: Mann, kann ich nicht wie die anderen sein? Warum bin ich weniger belastbar? Was kann ich tun, um mich anzupassen?

Ich erzähle dir kurz von einem meiner Klienten, der mit genau diesen Sätzen zu mir in die Beratung kam. Er war seit Monaten krank und hatte Schlafstörungen, depressive Phasen und nur noch wenig Selbstbewusstsein. Schritt für Schritt haben wir alte „Teufelchen“ entlarvt und die Selbstwahrnehmung und Bedürfnisse ernst genommen. In der gemeinsamen Arbeit ist es uns gelungen, neue, für ihn richtige Werte an die Stelle der alten zu setzen.

Heute arbeitet dieser Klient wieder – an dem für ihn richtigen Platz!

 

Akzeptiere, dass du als feinfühliger, wahrnehmungsbegabter Mensch nicht wie die anderen unbegrenzt in das Raster der heutigen Gesellschaft passt.

Natürlich kannst du dich auch hier wieder sträuben und dich anpassen und dich durchbeißen. Du kannst dich verleugnen, deine Bedürfnisse hintan stellen und einfach weitermachen. Den Preis dafür kannst du dir selbst denken.

 

Und weil ja von nichts nichts kommt (ein Glaubenssatz übrigens), möchte ich dich an dieser Stelle dazu verleiten, dir in Ruhe Gedanken darüber zu machen, wie lange du schon Dinge machst, die man eben so macht. Weil sie alle anderen tun und weil sie anscheinend dazugehören.

 

Nimm wieder Stift und Papier zur Hand und frage dich:

  • Was ist mein am weitesten zurückliegender Gedanke oder eine Erinnerung, wo ich mich angepasst habe?
  • Wie oft in meinem Leben habe ich mich angepasst und das getan, was die anderen von mir erwartet haben?
  • Wer hat mich dazu verleitet und vor allem: In welcher Lebenslage/Situation habe ich mich befunden?
  • Wo passe ich mich immer noch an, obwohl ich eigentlich schon lange weiß, dass mir das nicht mehr gut tut?

 

Mache dir mit dieser Übung bewusst, was du ändern möchtest. Erlaube dir, auf DEINE Bedürfnisse zu hören und auf sie einzugehen. Schreibe alles auf, was dir in den Sinn kommt – ohne zu werten. Und vor allem: Ohne Vergleiche. Im Ernst: Höre sofort auf, dich mit anderen zu vergleichen.

Sollte jetzt wieder das gefräßige Teufelchen vor deiner Nase tanzen und dir den Stift entreißen wollen: Danke ihm für seine Art, dir zu zeigen, dass es auf dich aufpasst und dann schick es weg. Gib ihm einfach für den heutigen Tag frei.

 

Im Wörterbuch habe ich folgende Definition zum Wort „Vergleich“ gefunden:

Das Nebeneinanderstellen von zwei oder mehr Gegenständen, Ideen, Personen, um herauszufinden, ob und wie sie sich hinsichtlich eines bestimmten Kriteriums ähneln.“

Um dir das nochmal zu verdeutlichen: Indem du dich mit anderen Menschen vergleichst, stellst du dich neben ihn und guckst, in welchen Kriterien ihr euch ähnelt. Klar, ihr seid beide Menschen. Ihr habt einen Körper, der erst beim näheren Betrachten anders aussieht, euer Lächeln ist annähernd gleich, ihr atmet beide ein und aus.

 

 

Fakt ist aber: Jeder Mensch, der hier auf diesem Planeten jemals gelebt hat, gelebt haben wird und jetzt lebt, ist einzigartig.

EINZIGARTIG!

Deshalb macht es überhaupt gar keinen Sinn, dich mit jemand anderem zu vergleichen. Ebenso könntest du versuchen, bei den Abermilliarden Schneeflocken, die an einem Wintertag fallen, zwei völlig Identische zu suchen.

Deshalb hier noch einmal mein Hinweis, um es dir ab sofort leichter zu machen:

KEINE VERGLEICHE MEHR.

 

Wenn du erlaubst, gebe ich dir auch hier wieder eine Übung an die Hand, die dir vor Augen führt, wie einzigartig du bist.

Wieder Stift und Papier erforderlich ;-):

  • Nimm dir etwas Zeit (mindestens eine halbe Stunde – besser wären eine bis zwei Stunden) und liste alles auf, was du bisher alles in deinem Leben gemacht hast. Welche Hürden hast du genommen? Wer stand dir zur Seite? Wie genau hast du es gemacht? Welche Hindernisse hast du überwunden?
  • Mach dir hier wieder bewusst, dass genau du genau das genau so gemacht und umgesetzt hast. DU hast das getan. Niemand anderes.
  • Sei stolz auf dich und koste bewusst aus, was DU alles schon geschafft hast in deinem Leben!

 

 

Zusammenfassend lässt sich hier also festhalten:

Dich und deine Hochsensibilität so anzunehmen und zu würdigen, wie sie ist,  nämlich wirklich wundervoll – das ist der erste Schritt dahin, dir selbst Respekt zu zollen und deinen richtigen Platz zu finden.

  • Und wenn es so wäre, dass hochsensible Menschen nun genau deshalb auf der Welt sind, um das zu lernen und für sich selbst einzustehen?
  • Kannst du dir vorstellen, ein Vorbild für andere zu sein, indem du dich und deine Art der Wahrnehmung ernst nimmst?
  • Wäre das Miteinander dann nicht besser, einfacher und wertschätzender als ohne dich?
  • Wie viel mitfühlender und liebevoller könnte das tägliche Aufeinandertreffen von uns Individuen dann sein?

 

 

Für mich ist das eine wunderbare Vision. Dafür stehe ich jeden Morgen auf. Und dafür arbeite ich mit Menschen, die hochsensibel sind und durch ihre Herausforderungen und Probleme wachsen (wollen).

Ich bin da, wenn du Unterstützung brauchst, melde dich für ein kostenloses telefonisches Erstgespräch!

 

Herzlichst und hochsensibel und bis zum nächsten Blogpost, Ilona.

 

 

Hier die versprochene Erklärung zum Handschriftlichen:

Beim von- Hand- schreiben können manchmal magische Dinge passieren: Während des Schreibens ploppen Ideen auf, verändern sich Blickwinkel und kreative Prozesse werden angestoßen.

Jemand hat mal gesagt: Es wird gleich etwas leichter, wenn man es aufschreibt. Schreiben ist ein Dialog mit uns selbst. Es ist Veränderung und kann etwas in uns aufdecken, von dem wir womöglich noch nichts geahnt haben. Es kann befreiend wirken und uns sogar beglücken.

Wenn wir schreiben, geben wir unserem Ich eine Stimme.

 

Weiterführende Links und Literatur zum Thema: